I. Einleitung

Eine Kette ist immer nur so stabil wie ihr schwächstes Glied. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag titelte jüngst: «Große Lieferkettenprobleme im deutschen Auslandsgeschäft – Zwei von fünf international engagierten Betrieben vor Herausforderungen».¹ Grundlage war die Befragung von 2.100 Unternehmen. Dies deckt sich mit einer Untersuchung der GSL Consulting GmbH², wobei deren CEO Beat Schlumpf, FCILT, ein international erfahrener Supply-Chain-Experte, ernüchtert feststellt, dass man ähnliche Feststellungen bereits nach Fukushima getroffen hatte. Der Lerneffekt aus einer Katastrophe ist offenbar bedenklich gering und es besteht eine bedauernswerte Tendenz zum «weiter so», sobald sich die Lage beruhigt hat. Folge: die Lieferketten bleiben anfällig; die Chance der krisensicheren Gestaltung wird leichtfertig vertan.

Dies betrifft auch den Umgang mit Rechtsproblemen. Die Lieferkette ist ein komplexes Gebilde. Kommt es bei einem Glied zu Schwierigkeiten, setzen sich diese Schwierigkeiten in die späteren Glieder hinein fort: werden Komponenten nicht rechtzeitig angeliefert, fehlen diese bei der Produktion usw.

Wie geht man nun mit solchen Problemen um? Natürlich sollten die Unternehmen solche Krisensituationen durch eine kluge Gestaltung der Lieferkette selbst sowie der Verträge in der Lieferkette³ möglichst vermeiden – es ist zu hoffen, dass die Unternehmen nun endlich hierfür sensibilisiert werden. Allerdings: unvorhergesehene Situationen wird es immer geben; ein 100%iges Funktionieren kann man nicht sicherstellen – und wie wir derzeit sehen: ein Frachtschiff, das den Suez-Kanal blockiert, kann den gesamten Welthandel empfindlich treffen. Kommt es zu Lieferschwierigkeiten, stellt sich die Frage, welche Ansprüche gegen den Vertragspartner bestehen. Muss er liefern? Hat er alles getan, um seinen Vertragspflichten nachzukommen (Stichwort: Ersatzbeschaffung!). Wer trägt entstehende Schäden? Diese Fragen müssen im Ernstfall schnell, kompetent und möglichst kostengünstig geklärt werden.

Die Schiedsgerichtsbarkeit mit in der Materie erfahrenen Schiedsrichtern ist ein Instrument, das in diesem Zusammenhang nicht aus den Augen verloren werden darf, zumal die Schiedsgerichtsbarkeit gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit oftmals den Vorteil bietet, dass Schiedsurteile im Wege des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche von 1959 weltweit4 leichter vollstreckbar sind, was insbesondere bei internationalen Lieferketten stets erwogen werden sollte. Und anders als vielerorts die staatlichen Gerichte haben die Schiedsgerichte während des Lockdowns ihre Tätigkeit nicht eingestellt, sondern durch flexible Verfahrensgestaltung (etwa Videokonferenzen) die Möglichkeit geboten, in völliger Sicherheit vor Ansteckungen zu verhandeln.

 

II. Rechtsprobleme bei der Abfassung von Schiedsklauseln im Rahmen der Verträge in der Supply Chain

Gerade in Supply Chains gibt es bestimmte Spezialprobleme zu bedenken, die bei der Abfassung der Schiedsklausel nicht aus den Augen verloren werden sollten.

1) Vermeidung paralleler Verfahren und Rechtsprobleme im Rahmen entsprechender Vereinbarungen
Wer nicht am Anfang oder am Ende der Supply Chain steht, riskiert Verfahren nach zwei Seiten: er wird seinen Vorlieferanten in Anspruch nehmen, wenn dieser seinen vertraglichen Pflichten nicht nachkommt. Andererseits kann er selbst seine Kunden ebenfalls nicht mehr beliefern, so dass diese gegen ihn vorgehen. Zwei Verfahren kosten zweifach Geld und verursachen doppelten Aufwand.5 In der Supply Chain sollte daher möglichst darauf geachtet werden, dass man durch geeignete Vertragsgestaltung solche Doppelspurigkeiten von vornherein vermeidet. Idealerweise sind in allen Vertragsverhältnissen von A bis Z identische Schiedsklauseln enthalten, so dass die Streitigkeiten bei derselben Schiedsinstitution zu denselben Bedingungen geführt werden können. Dort sollte die Möglichkeit bestehen, die Verfahren zu verbinden, so dass Ansprüche gebündelt werden können. Insbesondere sollten die Schiedsklauseln in den Verträgen übereinstimmen in Bezug auf den Sitz des Schiedsgerichts6, das anwendbare Recht und die anwendbaren Verfahrensregeln, soweit letztere nicht bereits durch die Wahl der Schiedsinstitution vorbestimmt sind. Ferner sollte die Zahl der Schiedsrichter und die Verfahrenssprache eindeutig bestimmt sein.

Ein Problem ist in diesem Fall, dass die meisten Schiedsinstitutionen den Parteien erlauben, an der Auswahl der Schiedsrichter mitzuwirken. Die Verbindung zweier Verfahren wird in den meisten Fällen dazu führen, dass eine Partei keinen Einfluss auf die Schiedsrichter-Bestellung hat. Soweit von ihr die Zustimmung zu einer Verfahrensverbindung verlangt wird, könnte dies dazu führen, dass eine solche Zustimmung verweigert wird. Deswegen sollte darauf geachtet werden, welche Voraussetzungen die Schiedsverfahrensordnung an eine Verfahrensverbindung stellt und insbesondere ob auf die Zustimmung zur Verfahrensverbindung verzichtet wird.

In diesem Zusammenhang wird die Überlegenheit der Konzeption der SGO – Ständigen Schweizerischen Schiedsgerichtsorganisation sichtbar: hier ernennt die Institution selbst die Schiedsrichter und sorgt so dafür, dass zum einen Fachleute in ihrer Materie und zum anderen wirklich unabhängige Schiedsrichter entscheiden. Es bleibt so aus, dass sich eine Partei gegenüber einer anderen benachteiligt fühlt.

Gegen eine Verfahrensverbindung können Geheimhaltungsinteressen einer Partei sprechen: eine der grossen Stärken der Schiedsgerichtsbarkeit ist deren Diskretion. Es gibt keine Öffentlichkeit der Verfahren und die Urteile werden nicht oder nur anonymisiert publiziert, im Gegensatz zu den Gerichten vieler Staaten, deren Urteile unter voller Nennung der Namen der Verfahrensbeteiligten in Zeitschriften und im Internet veröffentlicht werden und so für jedermann einsehbar sind. Die Verbindung von Verfahren führt dazu, dass Verfahrensbeteiligte des verbundenen Verfahrens die Fakten aus dem Parallelverfahren erfahren. Dies kann zur Folge haben, dass eine Partei, sofern ihr die Verfahrensordnung der Schiedsordnung das Recht hierzu gibt, der Verbindung widerspricht. Allerdings kann im Zuge der Vertragsfreiheit auch dieses Widerspruchsrecht Aufnahme in die Schiedsklausel finden und so vertraglich eingeschränkt oder ausgeschlossen werden. Die Schiedsklausel kann zudem spezifische Regelungen zur Geheimhaltungspflicht der Parteien in Bezug auf alle Informationen, die bei Verhandlungen ausgetauscht wurden und solche in Dokumenten oder auch im Schiedsurteil selbst beinhalten. Wie man sieht, ist es ratsam, Supply-Chain-Verträgen eine grössere Aufmerksamkeit zu widmen als dies bislang oftmals geschieht. Wer hier nur auf Musterverträge setzt (die nicht selten noch schlampig ausgefüllt werden), riskiert schmerzhafte Folgen.

2) Eilverfahren
Gerade in internationalen Lieferketten ist oft schneller Rechtsschutz wichtig: kommen die Komponenten nicht rechtzeitig an, steht die Produktion still. Dieses Problem verschärft sich durch die Tendenz, auf Lagerhaltung zu verzichten und Just-in-Time-Lieferungen zu vereinbaren. Wer feststellt, dass sein Lieferant noch einen Warenvorrat hat, den er aber für bessere/grössere Kunden «aufspart», will den Lieferanten möglichst rasch zur Lieferung zwingen. Lange, «ordentliche» Verfahren werden dieser Interessensituation nicht gerecht; es bedarf des Eilrechtsschutzes. Die Zahl der Schiedsinstitutionen, die ein Eilverfahren anbieten, steigt. So hat etwa die ICC ein solches im Jahr 2012 in ihre Schiedsordnung aufgenommen.

Indes ist die Anordnung solcher Massnahmen nicht per se vollstreckbar, sondern es bedarf der Vollstreckbarerklärung durch staatliche Gerichte, wobei die Haltung zur Vollstreckbarerklärung von Eilrechts-Erlassen international uneinheitlich gehandhabt wird.7 Allerdings werden Entscheidungen des Eilschiedsrichters oftmals ohne weitere Vollstreckungsmassnahmen freiwillig befolgt. Ansonsten dürfte diese Rechtsfigur insbesondere von Bedeutung sein, wenn die Vollstreckung in Staaten stattfindet, die die Anerkennung und Vollstreckung solcher Eilrechtsbeschlüsse ohne hohe Hürden ermöglichen oder in denen ein anderweitiger Eilrechtsschutz nur schwer zu erlangen ist. In allen weiteren Fällen dürfte der Weg über die staatlichen Gerichte zu bevorzugen sein.

Thorsten Vogl
Rechtsassessoer
Mitglied des Vorstands
sgo@eclipso.ch


1 https://www.dihk.de/de/themen-und-positionen/internationales/going-international/grosse-lieferkettenprobleme-im-deutschen-auslandsgeschaeft-37672 (konsultiert am 14.03.2021)
2 https://gsl-consulting.blog/2020/08/25/risikomanagement-in-krisenzeiten/ und https://www.gsl-group.ch/__/frontend/handler/document.php?id=360&type=42 (konsultiert am 14.03.2021)
3 S. zu dem Umgang mit den coronabedingten Rechtsproblemen etwa die folgenden Beiträge https://gsl-consulting.blog/2020/02/24/coronavirus-und-supply-chain/ und https://www.gsl-group.ch/__/frontend/handler/document.php?id=356&type=42
4 Mit dem Beitritt des Irak am 4. März 2021 sind 168 Staaten dem Übereinkommen beigetreten; s. https://www.newyorkconvention.org/ (konsultiert am 26.03.2021).
5 Der Aufwand im Rahmen von Prozessen wird oftmals nicht hinreichend gewürdigt: er kann die Leitungsebene eines – gerade kleineren – Unternehmens weitgehend „lahmlegen“, wenn die Chefs sich um das Verfahren kümmern müssen. Das ist gerade in Krisenzeiten, wo viele und schnelle Entscheidungen getroffen werden müssen und deswegen die Leitungsebene ihre volle Aufmerksamkeit dem Tagesgeschäft widmen muss, eine problematische Situation!
6 Der Sitz des Schiedsgerichts ist insbesondere wichtig, wenn es um die Anfechtung bzw. Aufhebung von Schiedssprüchen geht – dann sind die Gerichte am Sitz zuständig. Der Ort des Sitzes sollte sich deswegen in einem Staat befinden, der ein schiedsfreundliches Regelungsumfeld aufweist, wie dies etwa in der Schweiz der Fall ist. Die Verhandlungen selbst müssen nicht an dem Sitz stattfinden, sondern können nach den Regelungen der meisten Schiedsorganisationen auch anderenorts, also sogar auch in anderen Staaten abgehalten werden.
7 S. zum Ganzen Emergency Arbitrator Proceedings – ICC Arbitration and ADR Commission Report (2019), kostenlos abrufbar auf der Seite https://iccwbo.org/publication/emergency-arbitrator-proceedings-icc-arbitration-and-adr-commission-report/ (konsultiert am 26.03.2021). Für die Schweiz hat es das Bundesgericht abgelehnt, eine einstweilige Verfügung als Schiedsurteil anzusehen, BGE 136 III 200, so dass das New Yorker Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche von 1959 auf solche Erlasse keine Anwendung findet.